Es ist heute nicht mehr nachzuweisen, ob die Dillweißensteiner Turner im Gründungsjahr 1876 vor der gleichen Auseinandersetzung standen, die die Turnerschaft Deutschlands in die Spaltung getrieben hatte. Heinrich Heyd, der Gründer des Turnvereins Dillweißenstein, hat sich wohl kaum für diese politischen Fragen interessiert. Vielmehr ist in den älteren Vereinschroniken zu lesen, dass er ein treuer Anhänger der Ideen und Ziele Jahns war. Wie sein großes Vorbild, war auch Heyd ein Pädagoge. Er wurde im Oktober 1875 von Karlsruhe an die Schule in Dill- und Weißenstein versetzt und es brauchte gerade mal ein Jahr, bis er an seiner neuen Wirkungsstätte junge Menschen fand, die sich genauso wie er für das Turnen begeistern konnten. Sicherlich war sein pädagogisches Geschick auch der Grund für weitere Engagements: er gründete in Dillweißenstein einen Bildungsverein, einen Militär- und Verteranenverein und stand ein Jahr lang als Chorleiter dem 1879 gegründeten "Sängerkranz Weißenstein" vor. Eine ehrenamtliche Tätigkeit in mehreren Vereinen zu leisten erforderte auch damals viel Zeit und trotzdem hatte sich Heinrich Heyd immer auch für seine Berufskollegen eingesetzt. In seiner zehn Jahre währenden Tätigkeit als Obmann der badischen Lehrerschaft verfolgte er Ziele, die in manchen Punkten auch heute noch aktuell erscheinen:

  • 1. Eine sorgfältige Ausbildung des Lehrers
  • 2. Eine bessere Besoldung, verbunden mit einer sozialen Hebung des Lehrerstandes
  • 3. Enger Kontakt zwischen Eltern und Schule

Als Heinrich Heyd nach Dill- und Weißenstein versetzt wurde, so lautete damals der offizielle Gemeindename, hatte sich die wirtschaftliche Situation des Ortes grundlegend verändert. Der Ort war bis in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts isoliert und verkehrsmäßig kaum erschlossen.

1856 wurde schließlich an der Stelle der heutigen Weißensteiner Bogenbrücke eine künstliche Schlucht geschaffen, um das fehlende Teilstück der Nagoldtalstraße zwischen Pforzheim und Unterreichenbach zu schließen. Die neben dem 6 Meter hohen Wasserfall entstandene Staustufe ermöglichte die wirtschaftliche Nutzung des Flusslaufes in zweierlei Hinsicht: Neben der Staustufe verlief ein Floßkanal, der noch bis kurz nach der Jahrhundertwende von der Nagold-Flößerei genutzt wurde. Viel bedeutender jedoch für die wirtschaftliche Situation des Ortes war die Ansiedlung einer Papierfabrik, die im Jahr 1865 ihren Betrieb aufnahm.

Drei weitere Unternehmen sorgten ebenfalls für ein gutes Auskommen der Bewohner Dill-und Weißensteins:

Die Trautzsche Maschinenfabrik, 1875 von Karl Trautz gegründet, stellte landwirtschaftliche Maschinen her, die in die ganze Welt verschickt wurden.
Die Sägemühle des Zimmermanns Georg Gengenbach, die in ihrem Gründungsjahr 1874 schon 50 Beschäftigte hatte.
Es passt zur wirtschaftlichen Aufbruchstimmung Dill- und Weißensteins, dass im gleichen Jahr auch die entlang der Nagold geführte Eisenbahnlinie Pforzheim - Calw eröffnet wurde. Sie wurde für die vielen Bewohner des Ortes zu einer bequemen Verbindung nach Pforzheim, das auf Grund seiner aufblühenden Schmuckindustrie einen großen Bedarf an Arbeitskräften hatte. Das dritte Unternehmen schließlich, das in Dill- und Weißenstein ansässig wurde, geht auf die Initiative des späteren Bürgermeisters C.A. Trautz zurück. Er ließ die erste Ringfabrik des Ortes bauen.

In diesen guten wirtschaftlichen Verhältnissen entstand also der Turnverein und es lassen sich heute nur Vermutungen anstellen, wie es Heinrich Heyd vermocht hatte, eine begeisterte Turnerschaft um sich zu scharen. Im "Pforzheimer Beobachter" vom 27. März 1871 ist nachzulesen, dass der patriotische Freudentaumel über den militärischen Sieg im Krieg gegen Frankreich 1870/1871 und die Begeisterung über die Reichsgründung durch Kaiser Wilhelm I. und den Reichskanzler Bismarck auch die Gemeinde Dill- und Weißenstein erreicht hat. Es ist ein Bericht über das Friedensfest der beiden Teilorte, das vor allem vom Stolz auf ein einiges Vaterland geprägt war. Man kann annehmen, dass die Welle der Begeisterung ein paar Jahre anhielt und Heinrich Heyd, Kriegsfreiwilliger im I. badischen Leibgrenadier-Regiment, in der Gründung eines Turnvereins den Fortbestand einer patriotischen Idee sah.

Gasthäuser am Ort sind so etwas wie der Gradmesser für eine gute Wirtschaftslage und wie wir bereits erfahren haben, hatten die Dillsteiner und Weißensteiner damals eine gute Zeit. Was also lag näher, als eines der vielen neu entstandenen Lokale auszusuchen, das Raum für gesellige Runden und zugleich Platz für das Aufstellen der Turngeräte bot. In der Gaststätte "Waldhorn" bei der Bogenbrücke fanden die Turner um Heinrich Heyd ihr erstes Domizil. Der erste Barren, den der Verein erworben hatte, wurde im Nebenzimmer des Lokals aufgestellt, doch "Handstand, Rolle und andere halsbrecherische Sachen wollte man damals nicht machen, denn dazu reichte die Höhe des Turnlokals nicht aus" wie es in der ersten Festschrift aus dem Jahr 1926 nachzulesen ist. Der Suche nach einer geeigneten Übungsstätte wird die Turner in Dill- und Weißenstein übrigens eine lange Zeit beschäftigen - doch dazu später mehr.